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„Lesen ist von zentraler Bedeutung“

Wie die Lehrkräfte Kerrin Bies und Lars Großmann an der Ferdinand-Tönnies-Schule das Lesen fördern

„Wie die Welt von morgen aussehen wird, hängt in großem Maß von der Einbildungskraft jener ab, die gerade jetzt lesen lernen“, befand einst die große Astrid Lindgren. Doch wie steht es um jene, die ihre Lesekompetenz in diesen Zeiten erwerben? Dazu haben wir mit Kerrin Bies und Lars Großmann gesprochen. Sie ist seit dem Jahr 2012 als Lehrerin für Deutsch, Französisch, Mathematik sowie Fachleitung Deutsch an der Ferdinand-Tönnies-Schule tätig, er ist seit zehn Jahren Förderzentrumslehrkraft an der FTS. Im Gespräch berichten beide, wie sie Lesefreude wecken, mit digitalen Ablenkungen umgehen und warum Lesen weit mehr ist als eine reine Schulaufgabe.

Lesen macht den Unterschied

Es waren einmal eine Lehrerin und ein Lehrer, die engagierten sich in hohem Maß für die Lesekompetenz ihrer Schülerinnen und Schüler. Wieso? „Wenn du lesen kannst, verstehst du die Welt. Es gibt keinen Beruf ohne Lesen. Und auch wenn du im Internet unterwegs bist, ist da immer Text. Das versuchen wir, jungen Menschen zu vermitteln“, konstatiert Lars Großmann. Wenngleich Lesen noch nie ein Selbstläufer war – heute scheint der Erwerb der Lesekompetenz herausfordernder denn je, denn es gibt Konkurrenz: Das Smartphone und das Internet im Allgemeinen laufen dem Griff zum Buch vielfach den Rang ab. „Kinder erzählen uns regelmäßig, dass sie zu Hause neben den Schulbüchern keine anderen Bücher im Regal stehen haben“, wirft Kerrin Bies ein. Als Leiterin der Fachschaft Deutsch gehört die Koordination des Fachs Deutsch zu ihren Kernaufgaben. So informiert sie das Kollegium über neue Fachanforderungen des Ministeriums, koordiniert Termine wie das Lesefest oder das regelmäßige Zeitunglesen an der Schule, sorgt für Materialnachschub und kümmert sich um alles, was das Fachcurriculum betrifft.

Fördern, bevor Probleme entstehen

Etwa 350 Schülerinnen und Schülern betreuen die rund 35 Lehrkräfte plus weitere Mitarbeitende – etwa vom Diakonischen Werk. Für die Kinder mit Förderbedarf ist Lars Großmann zuständig. „Ursprünglich komme ich von der Pestalozzi-Schule Husum. Heute betreue ich mit einem Team Kinder mit Förderbedarf, die an Regelschulen wie der FTS oder Grundschulen lernen, aber auch Kitakinder. Unser Einzugsgebiet erstreckt sich von Hattstedt über Pellworm bis nach St. Peter-Ording. Jede Lehrkraft ist an mehreren Schulen tätig. Im Alltag arbeiten wir in Doppelbesetzung mit im regulären Unterricht oder wir nehmen Kinder in Fördergruppen raus. Ziel ist auch die Prävention, um zu verhindern, dass Kinder überhaupt eine Lernbehinderung entwickeln. Das Lesen ist von zentraler Bedeutung“, weiß Lars Großmann. Der Zivildienst hatte ihm damals die Augen für den sozialen Sektor geöffnet und so entschied er sich, Förderschullehrer zu werden.

Schölers leest Platt

Besonders gerne, aber auch etwas wehmütig, blickt Kerrin Bies auf den landesweiten plattdeutschen Vorlesewettbewerb „Schölers leest Platt“ zurück. Aufgrund der rückläufigen Nachfrage findet der Wettbewerb nur noch alle zwei Jahre statt. „Alle zwei Jahre erreichen uns von den Veranstaltern im November Hefte mit plattdeutschen Geschichten. Für mich ist das immer der Aufhänger, um herumzufragen, wer mitmachen möchte. Leider hat das Interesse in den vergangenen Jahren stark abgenommen“, bedauert die Lehrerin. „Als ich hier angefangen habe, waren es durchaus noch zehn Kinder, die sich getraut haben. Vor etwa vier Jahren hat es eine meiner Schülerinnen bis zum Landesentscheid nach Kiel geschafft. Das war eine besondere Erfahrung und sie hat das ganz toll gemacht. Das Problem ist, die wenigsten hören und sprechen zu Hause noch Plattdeutsch. Gesprochenes und geschriebenes Plattdeutsch unterscheiden sich noch dazu. Um Schülerinnen und Schüler zu trainieren, spreche ich ihnen gerne Texte aufs Diktiergerät auf.“ Daneben findet einmal im Jahr der hochdeutsche Vorlesewettbewerb der Stiftung Lesen im sechsten Jahrgang statt. Bei dem verpflichtenden Wettbewerb dürfen die Schülerinnen und Schüler den Lesestoff selbst aussuchen. Zunächst wird ein Klassensieger ermittelt, dann ein Jahrgangssieger und schließlich geht es weiter zum Regional- und Landesentscheid oder sogar zum Bundesentscheid.

Den Leseratten auf der Spur

Der fünfte Jahrgang feiert alljährlich das Lesefest. Dabei müssen die Kinder im Schulgebäude versteckte gebastelte Leseratten finden und an Stationen Aufgaben lösen, wie zum Beispiel Leserätsel, Satzpuzzle oder Zungenbrecher vortragen und einen Fragebogen ausfüllen. „Das Spektakel organisiert immer eine Klasse zusammen mit mir. Und dann ist der ganze fünfte Jahrgang hier auf den Beinen“, freut sich die Lehrerin. „Die Begeisterung der Kinder zu wecken, ist ganz viel wert. Denn leider wird heute zu Hause wenig gelesen. Das Lesefest ermöglicht durch kleine Elemente schnelle Erfolge, die die Kinder motivieren“, ergänzt Lars Großmann.

Quo vadis, Lesekompetenz?

Lesen, so die beiden Lehrkräfte, käme in allen Bereichen zu kurz. „Und wenn ein Kind sich mit dem Lesen schwer tut, wirkt sich das auch auf andere Fächer aus. Das betrifft auch die Abschlussklausuren in Mathe, die aus Textaufgaben bestehen. Das geht oftmals schief, weil die Schülerinnen und Schüler die Aufgabe nicht richtig lesen. Nicht, weil sie das nicht rechnen können, sondern weil sie gewisse Wörter nicht entziffern und daraus die Rechenaufgabe ableiten können“, weiß der Lehrer. Kerrin Bies ergänzt: „Ein Problem ist auch, wenn die Schülerinnen und Schüler nicht alles lesen – den Text nur überfliegen oder die Bildunterschrift übersehen. Deshalb ist es so wichtig, ihnen beizubringen, alles zu lesen und die im Text genannten Informationen sinnvoll zu verknüpfen. Neu und vom Ministerium angeschoben, ist der Anspruch, dass jede Schulstunde einen gewissen Fokus aufs Lesen rücken soll und das Entschlüsseln des Textes, das Leseverständnis, geübt werden soll. Inzwischen haben wir auch die „rollende Lesestunde“ eingeführt, bei der reihum jede Fachstunde mal ein besonderes Augenmerk auf das Leseverständnis legt.“

Buch statt Bildschirm

Bei vielen Schülerinnen und Schülern nehmen die beiden Lehrer eine Scheu vor langen Texten oder ganzen Büchern wahr. „Wir wollen ihnen klarmachen, dass es in erster Linie darum geht, im Alltag klarzukommen. Wenn sie während der Ausbildung in einem Betrieb sind, müssen sie ebenso lesen können wie überall woanders auch. Mangelnde Lesekompetenz kann sich schnell negativ auf das Selbstwertgefühl auswirken“, weiß Kerrin Bies. Beim Zeitungslesen gibt man sich an der FTS betont old school und legt Wert darauf, dass die Kinder das Erlebnis haptischer Zeitungen erfahren und so den Aufbau der Zeitung verstehen. „Die Kinder sollen die Kultur des Zeitungslesens kennenlernen und nicht durch bewegte Werbung abgelenkt werden.“ Auch das Vorlesen kommt nicht zu kurz. Ich lese immer gerne vor“, meint die Lehrerin. Lars Großmann ergänzt: „Unserer Schülerbücherei wird von sehr engagierten Schülerinnen und Schülern betreut. Die sind immer entrüstet, wenn jemand etwas umsortiert. Ihnen liegt die Bücherei so sehr am Herzen, dass sie sie in der Projektwoche aufräumen und neu sortieren wollen. Sie lesen so gerne, dass sie das in den Pausen auch den Kleinen vermitteln.“

Bye bye, Smartphone

„Wir versuchen wirklich in allen Fächern, etwas für die Lesekompetenz zu tun. Doch wir haben einen großen Konkurrenten und das ist das Smartphone, das die Informationen immer kurz und knapp bereithält“, weiß Lehrer Großmann. „Durch das neue Handyverbot für Schülerinnen und Schüler bis zur zehnten Klasse hoffen wir auf mehr Konzentration durch weniger Ablenkung. Wir hoffen zudem, dass die Kinder in den Pausen wieder angeregter miteinander sprechen und sich nicht nur darüber austauschen, in welchem Level sie bei Fortnite sind. Auch die Eltern begrüßen diese Entwicklung. Es geht nicht darum, Smartphones zu verteufeln – die gehören zum Leben und auch zur Arbeitswelt dazu, aber eben nicht permanent.“

Zukunftsmusik

„Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die Kinder merken, welche Welten sich ihnen erschließen, wenn sie lesen können. Dass sie ihre Fantasie in Gang bringen. Und dass ein Buch, selbst wenn es nur ganz dünn ist, dem Kopf viel mehr bietet als die meisten TikTok-Videos. Dafür brauchen wir allerdings auch die Eltern, die zu Hause den Kindern vorlesen und Bücher im Regal. Und ich hoffe, dass die Kinder die Scheu vor dem lauten Vorlesen ablegen. Das muss man üben wie einen Sport“, resümiert die Fachschaftsleiterin. Kerrin Bies betont auch die elementare Rolle, die Lesen beim Unterscheiden von echten Nachrichten und Fake News einnimmt. „Wir bleiben am Ball und das ist auch wichtig, denn als ich an die Regelschule kam, gab es in Bezug auf die Lesekompetenz mehr Parallelen zwischen Regel- und Förderschule, als ich gedacht hätte. Lesen ist ein Schlüssel und essenziell für die Berufswelt. Wir wollen den Kindern vermitteln: Du kommst nicht klar ohne Lesen und wir sind hier, um dir zu helfen!“

TEXT Kristina Krijom / Markus Till
FOTO Mubarak Bacondo

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