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„Wir möchten den Kindern beibringen, dass sie einen Einfluss haben“

Lehrerin Julia Spieß und Lehrer Mario Vosgerau über praktischen Unterricht für ein selbstbestimmtes Leben

Sport, Ernährung, Verbraucherbildung – Themen, mitten aus dem Leben, gelehrt an der FTS Husum. Lehrerin Julia Spieß unterrichtet die Fächer Sport, Verbraucherbildung, Englisch sowie die Wahlpflichtkurse Fit for Future und EBG (Ernährung, Bewegung und Gesundheit). Mario Vosgerau ist gelernter Bäcker und Lehrer für Deutsch, Sport, Verbraucherbildung, Kunst und Weltkunde. Im Gespräch erklären die beiden, was für sie lebensnaher Wahlpflichtunterricht bedeutet, welche Chancen er für die persönliche Entwicklung bietet und warum Eigenverantwortung und Alltagsnähe zentrale Leitlinien ihres Unterrichts sind.

„Verbraucherbildung besteht aus fünf Kompetenzfeldern“, erklärt Julia Spieß: „Ernährung und Gesundheit, Finanzen und Verbraucherrecht, Nachhaltigkeit, Globalisierung sowie Medien und Information. Diese Kompetenzen sollen junge Menschen dazu befähigen, mündige und verantwortungsvolle Konsumenten zu werden. Das Schulfach versucht, praktische Kompetenzen mit theoretischem Inhalt zu verknüpfen und den Kindern etwas zu geben, was sie wirklich brauchen. Das gibt es nur an Gemeinschaftsschulen.“ Mario Vosgerau ergänzt: „Gerade hier ergibt es Sinn, da sich die Schülerinnen und Schüler im Übergang befinden, auf Wohnungssuche sind, ein eigenes Smartphone besitzen und erste Verträge abschließen.“

EBG goes Fit for Future

Der Wahlpflichtkurs EBG steht für Ernährung, Bewegung und Gesundheit. „Es gibt verschiedene Wahlpflichtkurse. Wir bieten WPU 1 und WPU 2. Den zweistündigen WPU 2 kann man theoretisch jedes Jahr neu wählen. Der WPU 1 ist zum Beispiel EBG. Das ist ein vierstündiger Wahlpflichtkurs, den die Schülerinnen und Schüler ab Klasse sieben wählen und bis Klasse zehn durchgängig belegen“, berichtet die Lehrerin. Dabei ist EBG stets in Doppelstunden aufgeteilt, so erwarten die Kinder neben Doppelstunden Sport auch Doppelstunden in der Schulküche. Doch das Fach EBG läuft aus und wird von Fit for Future abgelöst. „Die Fächer sind nicht deckungsgleich, denn Fit for Future ist projektorientierter und muss nicht in Richtung Gesundheit gehen, darf aber. So haben wir mit dem neuen Fit-for-Future-Kurs gerade das Thema Fairtrade und nachhaltiges Gärtnern behandelt, aber auch das Thema Sport.“

Durchlässigkeit für einen zeitgemäßen Unterricht

Zusätzlich gibt es für die Zehntklässler den neuen wöchentlich zweistündigen Verbraucherbildungs-WPU. Die Unterrichtsinhalte von EBG gibt es weiterhin – nur auf andere Fächer verteilt. „Diese Beweglichkeit und Durchlässigkeit sind typisch für das Konzept der Gemeinschaftsschule“, weiß Mario Vosgerau. „Und diese Flexibilität zahlt sich auch für die Schülerschaft aus. In Fit for Future habe ich jetzt gerade eine Klasse mit total sportlichen Schülerinnen und Schülern. Das Schöne an dem WPU ist, dass wir zielgruppengerecht agieren und den Unterricht etwas anpassen können“, erzählt Julia Spieß. Im Rahmen des WPU 2 kann zwischen den Kursen Stark im Leben und Verbraucherbildung gewählt werden. „Bei Stark im Leben geht es viel um psychologische Themen und Gefühle. Heutige Schülerinnen und Schüler sind deutlich fitter im Benennen ihrer Gefühle und kennen psychische Erkrankungen. Ich glaube, diesen Inhalten Struktur zu geben in diesem Dschungel von Informationen, der die jungen Menschen heute umgibt, ist inzwischen unsere Aufgabe.“

Verbraucherbildung in der Praxis

Bei der Verbraucherbildung richtet sich der Inhalt nach dem Jahrgang. So geht es in der sechsten Klasse um die Grundlagen und darum, die Küche kennenzulernen. „Der Unterricht dreht sich um Fragen wie: Wie bereite ich mir eine Mahlzeit zu? Was beinhaltet die Mahlzeit im besten Fall – Stichwort Lebensmittelpyramide. Welche Regeln kann ich beachten, wenn ich mich gesund ernähren möchte? Das geht dann über in: Wie beeinflusst meine Ernährung die Umwelt und Stichworte wie Saisonalität und Regionalität“, berichtet die Lehrerin. Gerade hat sie ein bereicherndes Projekt mit ihrer Schülerschaft abgeschlossen, im Rahmen dessen sie Lebensmittel gerettet hat. „Wir haben bei Supermärkten nachgefragt, eine Riesenkiste geretteter Lebensmittel erhalten und daraus spontan etwas gekocht und eine weitere Klasse zum Essen eingeladen. Wir möchten den Kindern beibringen, dass sie einen Einfluss haben.“ Neben praktischen Küchentipps wie der Küchenmaschinennutzung, Schneidetechniken und verschiedenen Teigarten klärt das Fach auch über Themen wie Mülltrennung und Hochbeete auf.

Alltagskompetenz in der Schulküche

„Das Fach wird total gerne angenommen und die Schülerinnen und Schüler freuen sich richtig darauf. Der Faktor Zeit ist immer wichtig, weil man die 90 Minuten klug verteilen muss. Ein Gericht muss so überschaubar sein, dass man es zubereiten, essen und wieder aufräumen kann. Für uns als Sportlehrer ist es besonders interessant, das Thema Ernährung zu behandeln – Stichwort Sportlerernährung“, freut sich Lehrer Vosgerau. „Auch über Foodtrends sprechen wir und betrachten kritisch die Trends, die den Kindern bei Social Media gezeigt werden“, wirft Julia Spieß ein und Mario Vosgerau ergänzt: „Wir bringen den Kindern zudem einen aufmerksamen Umgang mit Zucker bei, damit sie ein Gefühl dafür bekommen, wo Zucker überall drin ist.“ Basiswissen über die Relevanz von Obst und Gemüse für den menschlichen Körper spielt dabei ebenso eine Rolle wie das Wissen, dass unverarbeitete Lebensmittel wertvoller sind als hoch verarbeitete. „Bei manchen scheitert es schon daran, ein Sandwich zu belegen und anzurichten oder ein Ei aufzuschlagen. Da muss die Schule schon vieles auffangen. Aber das darf man den Eltern nicht verübeln. Viele sind mittags ja gar nicht zu Hause, weil sie arbeiten müssen. Durch unseren Unterricht kam es schon zu netten Situationen, in denen Kinder begeistert ausriefen, dass sie nun kochen können“, erinnert sich die Lehrerin.

Bewusstsein für andere, Raum für mich

„Ich merke im Unterricht ganz oft, wie wichtig das Zuhören ist. Zuzuhören, was die Schülerinnen und Schüler beschäftigt und zu erzählen, was mich beschäftigt. Ich koche zum Beispiel hier in der Schule nicht mit Fleisch. Ich sage, ich bekehre hier niemanden, ihr könnt machen, was ihr wollt. Mir ist nur wichtig, dass ihr wisst, wie so ein Tier gehalten wird. Danach kannst du immer noch entscheiden. Ich möchte ein Bewusstsein schaffen. In Großstädten ist Veganismus natürlich größer als auf dem Land, aber auf dem Land ist es schön, dass die Menschen tendenziell nichts verschwenden wollen. So werden Schalen beim Kochen gerne für die Schweine oder Hühner mitgenommen – einer aus der Klasse hat immer Schweine oder Hühner.“ Auch beim Thema Fairtrade ist den Lehrern wichtig, den Schülerinnen und Schülern ein Bewusstsein zu vermitteln: „Irgendwann erkannten die Kinder, dass das ja Menschen sind, die dafür sorgen, dass wir hier unseren Kakao auf dem Tisch haben“, so die Lehrerin. Auch im Sport legt sie Wert auf Individualität und Engagement statt Leistungsdruck. „Im Sport bin ich froh, wenn jeder sich auf seinen individuellen Weg macht und etwas tut. Es muss nicht jeder einen Handstand-Flick-Flack können. Den Kindern Raum für ihre eigene Entfaltung zu geben, daraus entwickelt sich ganz oft etwas.“ Den Kindern etwas zuzutrauen, das steht für die beiden Lehrer im Vordergrund. Da kann es auch schon einmal zu leckeren Tests kommen, zum Beispiel, wenn Lehrer Vosgerau eine Kochaufgabe stellt. „Irgendwann kommt im Unterricht immer der Tag, an dem ich sieben, acht Zutaten einkaufe und die Aufgabe stelle, daraus etwas Leckeres zu kochen. Und das ist interessant, das kriegen die Schülerinnen und Schüler dann hin. Nachfragen sind natürlich erlaubt. Doch vom Schneiden bis zum Abschmecken machen sie das ganz toll und das stärkt dann auch ihr Selbstbewusstsein.“

Bewegung als Inspiration

Viele Sportlehrer schauen auf eine eigene Leistungssportvergangenheit und lassen ihre Erfahrungen in den Unterricht einfließen. So auch Julia Spieß. Viele Schülerinnen und Schüler der ehemaligen Boxerin und Bodybuilderin interessieren sich für ihre Sportarten und möchten sie im Unterricht integrieren. „Die haben total Bock auf Boxen. Und gerade Fitness ist natürlich auch ein riesiger Hype“, erzählt die Lehrerin und ihr Kollege verrät: „Meine Schülerschaft darf zu Beginn des Sportunterrichts immer ein paar Minuten frei Sport machen und die meisten wählen inzwischen Boxen. Es ist interessant zu sehen, wie die Kurse einander beeinflussen und die Kinder inspirieren.“

TEXT Kristina Krijom / Markus Till
FOTO Mubarak Bacondo

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